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Wie erwerben Kinder Sprache(n)?


Alles Folgende gilt für ein- und mehrsprachig aufwachsende Kinder gleichermaßen. Speziell zu mehrsprachiger Entwicklung und Erziehung s. ausführlich:
www.zweisprachigkeit.net.

Sprache ist ein hoch­komplexes, abstraktes System von syntaktischen Regeln (Grammatik), semantischen Überein­künften (Bedeutung) und pragmatischer Umsetzung (Gebrauch). Kinder beginnen mit ca. ein bis zwei Jahren zu sprechen. Obwohl ihre kognitive Entwicklung in diesem Alter von Abstraktionsvermögen noch weit entfernt ist, sind sie bereits in der Lage, grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden. Was befähigt sie dazu? Verschiedene Spracherwerbstheorien bieten teils sich widersprechende, teils sich ergänzende Erklärungsmodelle, die übrigens sowohl für einsprachige Kinder zutreffen, als auch für Kinder, die von Geburt an mit zwei Sprache aufwachsen. In ihnen wird der Spracherwerbsprozess beschrieben als

Behaviorismus

Die zentrale These des behavioristischen Ansatzes des Spracherwerbs – geprägt vor allem durch Burrhus F. Skinner – lautet, dass Sprache durch Imitation und Verstärkung (=Belohnung) erworben wird: Während die Umwelt auf „richtige“ Lautäußerungen des Kleinkindes positiv-verstärkend reagiert, zeigt sie „falschen“ Äußerungen gegenüber keine oder negative Reaktionen. Je häufiger ein Wort oder eine Äußerung verstärkt wird, desto mehr festigt sie sich im Sprachrepertoire des Kindes. Die Sprache des Kindes wird also durch die Reaktionen der Umwelt gestaltet. Dieses Modell ist jedoch mit einem Problem verbunden: Es setzt voraus, dass das Kind zunächst spontan Laute produziert, die dann von der Umwelt verstärkt werden können. Dieser u.U. sehr langwierige Prozess wird aus behavioristischer Sicht beschleunigt durch das Imitationsverhalten von Kindern, welches sie dazu befähigt, größere Lautmuster aus ihrer Umwelt nachzuahmen.

Beispiel:     Mutter: „Komm, wir machen die Tür zu!“
                 
Kind: „Tür lu.“
                  Mutter: „Ja, jetzt ist die Tür zu.“

  Spracherwerb ist Imitation. Die Umwelt liefert sprachliche Vorbilder und verstärkt richtige Äußerungen des Kindes durch Lob o.ä.

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Nativismus

Der nativistische Ansatz wurde von Noam Chomsky in kritischer Auseinandersetzung mit Skinners Theorie zum Spracherwerb entwickelt. Nach Chomsky ist Sprache – und hier besonders die grammatischen Strukturen – zu komplex, als dass sie ein in seiner kognitiven Entwicklung noch nicht sehr weit fortgeschrittenes Kleinkind innerhalb von wenigen Jahren allein durch Imitation und Verstärkung erwerben könnte. Auch der Vielfalt und Kreativität von Sprache wird Skinners Ansatz nicht gerecht: So kann ein Mensch (schon in zeitlicher Hinsicht) nicht jeden Satz, den er spricht, zuvor durch Nachahmung und Verstärkung erworben haben. Menschen bilden vielmehr aus einem begrenzten Wortschatz und einem festen Regelsystem ständig neue Sätze. Das Kind, so Chomsky, lernt Sprache nicht Satz für Satz, sondern erwirbt die spezifischen Regeln seiner Muttersprache. Diese sind so komplex, dass ihr Erwerb nur durch einen angeborenen Spracherwerbsmechanismus („Language Acquisition Device“, abgekürzt LAD) erklärt werden kann. Mit Hilfe des LAD erwirbt das Kind Sprache unabhängig von seiner kognitiven Entwicklung. Die Umwelt spielt dabei eine untergeordnete Rolle: Sie liefert lediglich den Input der Sprache, sowie Anlässe, diese auch zu sprechen.

Beispiele:          „Ich hab das ausgeschneidet.“
    „Da sind drei Hause.“

Derartige Äußerungen zeigen, dass Kinder selbstständig Formen bilden, die sie in ihrem Umfeld kaum gehört haben können und die folglich nicht durch Imitation entstehen. Dabei wenden Kinder tatsächlich Regeln an: „Ausgeschneidet“ ist nicht irgendein beliebiger Fehler, sondern das Verb wurde wie ein regelmäßiges gebeugt! Auch bei „Hause“ wurde die regelmäßige Pluralbildung angewendet. Derartige Fehler werden daher Übergeneralisierung genannt. Zudem machen Kinder im Verhältnis zu allen möglichen Fehlern, die in einem Satz auftreten könnten, recht wenige.

  Spracherwerb ist Regelerwerb. Kindern ist eine sprachspezifische Fähigkeit angeboren, aus der gehörten Sprache Regeln abzuleiten, denn kognitiv sind sie dazu noch nicht in der Lage. Kinder erwerben Sprache intuitiv-unbewusst.

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Interaktionismus

Während im Behaviorismus und im Nativismus die soziale Interaktion – d.h. das Miteinander-in-Kontakt-treten und kommunizieren – nur als untergeordneter Faktor im Spracherwerbsprozess angesehen wird, kommt ihr im Ansatz Jerome Bruners eine zentrale Rolle zu. Hier ist sie die Voraussetzung dafür, dass die angeborene Fähigkeit, Sprache zu erwerben (wie Bruner ihn in Anlehnung an Chomsky annimmt) sich überhaupt entfalten kann.

Soziale Interaktion, die den kindlichen Spracherwerbsprozess unterstützt, zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich an dem jeweiligen Stand der kognitiven und sprachlichen Ent­wicklung des Kindes orientiert. Mütter beachten dies meist intuitiv, indem sie mit ihren Neugeborenen in besonderer Weise kommunizieren (z.B. in einfachen Sätzen, mit vielen Wiederholungen, mit starker Betonung und Melodie). Dabei akzeptieren sie Blicke oder Laute als „Gesprächsbeitrag“ des Babys. Mit fortschreitender Entwicklung des Kindes wird ihre Sprache vielfältiger und das Kind häufiger dazu aufgefordert, Gesten und Laute durch sprachliche Äußerungen zu ersetzen. Dies geschieht in routinierten, gleich bleibenden Abläufen, die die Kinder kennen und deren Sinn sie verstehen. Mit der Zeit werden auch diese immer komplexer. Das Kind übernimmt entsprechend seines Entwicklungsstandes nach und nach die aktiven Parts. Das folgende Beispiel ist, gekürzt und leicht verändert, entnommen aus: Bruner, Jerome (1997): Wie das Kind sprechen lernt. Bern. S. 46ff.

Beispiel:         Die Mutter versteckt ihr Gesicht hinter einem Tuch, und sagt: „Tschüß!“

                     Sie guckt wieder hinter dem Tuch hervor und ruft:
                    „Hallo!“ Richard schaut zu und lacht, babbelt.

Mit 1;2 versteckt Richard selbst sein Gesicht, lässt es hervorkommen, die Mutter ruft „Hallo!“

Mit 1;9 versteckt er Puzzelteile in einem Topf. Er holt jedes einzelne hervor und ruft jedes Mal: „Hallo Haus!“. Er lässt es verschwinden und ruft: „Tschüß Haus!“ Während dieses Spiels klingelt es an der Tür.

Richard zeigt auf die Tür und ruft: „Hallo!“

In diesem Alter sagt er: „Hallo!“ wenn sein Vater nach Hause kommt, und „Tschüß!“ wenn er das Haus verlässt.

  Sprache wird in Interaktion erworben, durch gemeinsame Handlung, durch ein wiederholtes Spiel, dessen Ablauf immer gleich bleibt, in dem das Kind zunehmend die aktive Rolle übernimmt und das Gelernte schließlich auf reale Situationen überträgt.

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Kognitivismus

Der Entwicklungspsychologe Jean Piaget stellt die Verknüpfung von kognitiver und sprachlichen Entwicklung in den Vordergrund, wobei er nicht grammatikalische, sondern semantische, pragmatische und kommunikative Aspekte von Sprache betrachtet: Welche Denkleistungen muss ein Kind vollziehen können, um Sprache erwerben und kommunizieren zu können?

Zunächst muss es die Einsicht erlangen, dass Objekte auch dann weiter existieren, wenn sie gerade nicht sichtbar bzw. nicht präsent sind, die sog. Objektpermanenz. Sie wird im Alter von ca. 1,5 – 2 Jahren erworben. Damit verbunden ist die Entwicklung der Symbolfunktion von Dingen, d.h. z.B. ein Holzklotz wird im Spiel zum Symbol für ein Auto. Objektpermanenz und Symbolfunktion befähigen das Kleinkind, Sprache als System von lautlichen Symbolen für vorhandene oder nicht vorhandene Objekte verwenden zu können.

Wichtig für gelungene Kommunikation ist außerdem die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, d.h., die Dinge aus Sicht des Gesprächspartners betrachten zu können. Während kleinere Kinder z.B. Namen nennen, ohne zu erklären, um welche Person es sich genau handelt, erlangen Kinder mit ca. 6 – 7 Jahren die Erkenntnis, dass Dinge erklärt werden müssen, damit der Gesprächspartner sie verstehen kann.

Grundlage sowohl für Objektpermanenz, Symbolfunktion, Perspektivenwechsel als auch für den Spracherwerb selbst sind konkrete, ganzheitliche Erfahrungen: Ein Kind be-greift zunächst seine Umwelt, in dem es sie mit allen Sinnen wahrnimmt: Wie riechen und schmecken die Dinge? Wie fühlen und hören sie sich an? Diese konkreten Erfahrungen werden mit der Zeit in Vorstellungen – innere Abbildungen – umgesetzt und schließlich durch ein Wort ausgedrückt. Auf Basis der konkreten Erfahrungen erlangt das Kind zunehmend die Fähigkeit, abstrakt, d.h. losgelöst von konkreten Gegenständen oder Ereignissen zu denken, Hypothesen aufzustellen und diese allein aufgrund der inneren Logik zu diskutieren.

Beispiel:        Ein Kind entwickelt eine Vorstellung davon, was ein Ball ist, indem es ihn sieht (er ist rot), anfasst (glatt) und anstößt (rollt weg).
Es sagt „Ball“, später „Wo ist der Ball?“ und viel später: „Die Erde ist eine Kugel“...

Die konkrete, ganzheitliche Erfahrung wird durch das Wort „Ball“ repräsentiert. Durch Objektpermanenz und Symbolfunktion wird das Kind dazu in der Lage sein, über einen Ball zu sprechen, auch, wenn keiner gegenwärtig ist und sich z.B. den Erdball vorzustellen, ohne ihn je mit allen Sinnen be-greifen zu können.  Die ersten Worte eines Kind repräsentieren also in besonderem Maße seine ersten, konkreten Erfahrungen – sie sind unmittelbar mit diesen verknüpft. Daher ist (sind) auch die Muttersprache(n), in der (denen) das Kind diese Worte erwirbt, so wichtig für seine weitere kognitive Entwicklung.

  Grundlegende Voraussetzung für kognitive und sprachliche Entwicklung ist die konkrete Erfahrung der Umwelt mit allen Sinnen. Durch sie werden Vorstellungen vom Gegenständen erworben, immer weiter verfeinert, verinnerlicht, und schließlich durch ein Wort symbolisiert. Daher ist Sprache gleichzeitig auch Voraussetzung der Weiterentwicklung zum abstrakten Denken.

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Die Kernaussagen der unterschiedlichen Ansätze ergeben zusammen ein vielfältiges Bild des kindlichen Spracherwerbsprozesses. Demnach erwerben Kinder Sprache durch Imitation und Verstärkung, unbewusst-intuitiv, eigenaktiv, ganzheitlich, in Interaktion und konkreter Handlung. An diesen Prinzipien muss kindgerechte Sprachförderung ansetzten, um Kinder wirklich zu erreichen und sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen.
Sprachliche Bildung in der Familie
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Literacy: Der Einstieg in die Schriftsprache

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